Passend zur dunkel werdenden Jahreszeit erinnert der November auf vielfältige Weise an den Tod und unsere Toten. Die katholische Kirche feiert Allerseelen, die evangelische Kirche begeht den Totensonntag, und Deutschland gedenkt am Volkstrauertag der gefallenen Soldaten der beiden Weltkriege, der Opfer des Nationalsozialismus und ganz allgemein der Opfer von Krieg, Terror und Gewalt.
Auch die Verstorbenen bleiben ein Teil von uns
In besonderer Weise gehört das Totengedächtnis auch im November zum Komtureiabend meiner Heimatkomturei Patrona Bavariae München: Bei der Messfeier rufen wir die Namen aller Komtureimitglieder in Erinnerung, die seit Gründung unserer Komturei gestorben sind. Die Toten gehören zu uns und unserer Geschichte. Es ist ein Akt der Ehrfurcht, der Anerkennung und Dankbarkeit, wenn wir sie nicht vergessen, sondern ihrer gedenken und für sie beten.
Der Tod ist Teil des Lebens
Nicht nur weil die großen Gedenktage staatlicherseits vielfach als stille Feiertage bezeichnet werden und manche Veranstaltungen dann nicht erlaubt sind, können diese Tage und Gelegenheiten nachdenklich stimmen. Denn das vielfältige memento mortuorum, dieses mehrdimensionale Gedächtnis der Verstorbenen im November, wird wie von selbst für viele zu einem memento mori, zu einer Erinnerung an unsere eigene Sterblichkeit. Auch wer jung und gesund ist, wird irgendwann sterben. Wer älter oder krank wird, spürt oftmals auf neue Weise, dass das Leben ganz sicher zum Tode führt. Ja, der Tod gehört zum Leben, aber er begrenzt eben auch unser irdisches Leben und kann deshalb Ängste wecken und Fragen aufwerfen, die beunruhigen und denen viele gerne ausweichen würden.
Allerheiligen – ein Fest aller Heiligen, auch derer des Alltages
Ermutigend ist für mich, dass der November mit dem Fest Allerheiligen beginnt. Auch dort schauen wir auf Verstorbene. Aber wir denken dort an jene Toten, von denen wir glauben dürfen, dass ihr Leben bei Gott sein Ziel gefunden hat. Das Besondere aber an diesem Tag ist: Wir beschränken uns nicht auf jene großen Gestalten, deren Biografien wir kennen und von denen vielfach sehr erstaunliche Dinge erzählt werden: große Leuchten der Theologie, konsequente Asketen, kirchengeschichtlich prägende Bischöfe oder Päpste, mutige Missionare oder tatkräftige Ordensgründerinnen, deren Lebenszeugnis wir zwar bestaunen können, deren außergewöhnlichen Kennzeichen aber häufig weit von unserer Lebenswelt entfernt sind.
Das Fest Allerheiligen erinnert daran, dass es viel mehr Heilige gibt, als im Kalender oder Martyrologium der Kirche enthalten sind. Allerheiligen steht auch für die Heiligen des Alltags, die als Mütter und Väter, Familienmenschen oder Alleinlebende, als Handwerker und Kaufleute, als Hilfskräfte oder Unternehmer ihr Leben aus dem Glauben gestaltet haben – und gestalten. Das Fest Allerheiligen ist für mich jedenfalls ein Hinweis, dass ein geglücktes, vor Gott Gnade findendes Leben an allen Orten, in allen Zeiten und allen Lebenslagen möglich ist.
Die Auferstehung Jesu Christi gibt uns Hoffnung
Warum aber dürfen wir das glauben und auch für uns erhoffen? Nicht weil wir perfekte Menschen sind, sondern weil wir überzeugt sind, dass Jesus nicht im Tod geblieben ist, sondern das neue und endgültige Leben beim Vater hat. In einer Präfation für die Totenmesse beten wir:
„Bedrückt uns auch das Los des sicheren Todes, so tröstet uns doch die Verheißung der künftigen Unsterblichkeit. Denn deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben gewandelt, nicht genommen. Und wenn die Herberge der irdischen Pilgerschaft zerfällt, ist für uns im Himmel eine ewige Wohnung bereitet.“
(Präfation von den Verstorbenen I: Messbuch 452 f.).
Der Grund unserer Hoffnung ist die Auferstehung Jesu. Allerheiligen zeigt uns, dass die Auferstehung Jesu nicht nur ihn betrifft, sondern eine Möglichkeit für alle ist. Denn an diesem Tag werden uns nicht nur einzelne Typen von Heiligkeit als vielfach unerreichbare Ideale vor Augen gestellt. Vielmehr drückt das Fest den Glauben aus, dass Menschen mit unterschiedlichen Biografien und Charismen, mit verschiedenen Schwerpunkten und Mentalitäten, mit vielfältigen Leistungen und Niederlagen und – nicht zuletzt – auch mit ihrem Versagen einen Platz im himmlischen Jerusalem finden können.
Allerheiligen lässt mich hoffen, dass das auch für mich und die Menschen gilt, mit denen ich hier verbunden war und bin. Mit diesem Vorzeichen kann der dunkle Monat eine hoffnungsvolle Zeit werden.
Prof. Dr. Winfried Haunerland
Geistlicher Zeremoniar der deutschen Statthalterei des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem